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Muße im kulturellen Wandel

Wann 24.03.2011 um 09:00 bis
26.03.2011 um 12:00
Wo FRIAS, Albertstr. 19
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Leitung: Prof. Dr. Burkhard Hasebrink, PD Dr. Peter Philipp Riedl

Exposé

Der Ruf nach Freiräumen der Muße ist allgegenwärtig. In ihm schwingt die Sorge mit, dass selbst Freizeit und Regeneration nicht mehr zu Selbstbesinnung oder Kreativität taugen. Sucht man aber das erforderliche Maß an Muße genauer zu bestimmen, stößt man auf ein komplexes Geflecht kulturgeschichtlicher, philosophischer oder psychologischer Fragen. Muße ist mehr als Freizeit; dieser Mehrwert der Muße führt tief in die Geschichte der Literatur, der Philosophie oder der Theologie. Ob antike Muße, die heilige Muße der Mönche oder die Muße als Privileg des Adels – in all diesen Konzepten verbergen sich vielschichtige, ambivalente Semantisierungen. Muße ist begehrtes symbolisches Kapital, das sich im Besitz zu verflüchtigen scheint, sie ist Gegenstand sozialer Konkurrenz, Modus der Selbstinszenierung und Bedingung der Kontemplation. Zugleich zieht sie Verdikte auf sich, Abgrenzungen, Diskriminierung. Ihr spezifisches Zeitverhältnis hebt Zeit nicht auf, scheint sie zu dehnen, ihr räumliche Weite zu geben. Räume der Muße sind Indikatoren gesellschaftlicher Repräsentation wie individueller Selbstdarstellung. Während die einen Muße als Quelle künstlerischer und intellektueller Inspiration preisen, pejorisieren andere Muße als Müßiggang und verdammen ihn als Wurzel allen Übels (und umgekehrt …). Die Grenze zwischen Muße und Müßiggang verläuft also nie gerade; sie ist unablässig von wechselnden Diskursivierungen gekennzeichnet, die selbst Indikator kultureller Ordnungen sind. Diese Grenzziehungen werden überschrieben von Praktiken der Exklusion und Inklusion und organisieren die Verhältnisse von Aktivität und Passivität, Leistung und Hingabe, während sie gleichzeitig diese Differenzstruktur selbst in Frage stellen. Sonst könnte Muße nicht als spektakuläre Verheißung eines ganz Anderen dienen.

Ausgehend von der Philologischen Fakultät, der Philosophie und der Theologie hat sich an der Universität Freiburg ein interdisziplinärer Forschungsverbund konstituiert, der Konzepte, Räume und Figuren der Muße in historischen Einzelstudien wie in systematischer Reflexion untersuchen will. Das Kolloquium ‚Muße im historischen Wandel’ will mit Beiträgen aus der Literaturwissenschaft, der Philosophie, der Theologie, der Soziologie, der Ethnologie, der Kulturgeschichte und der Sinologie historische Paradigmen von Kulturen, Inszenierungen und Konzeptualisierungen von Muße diskutieren und die Geschichten ihrer komplexen Semantisierungen und Medialisierungen erforschen. Das Kolloquium hat mit dem FRIAS einen Ort, der sich selbst als Freiraum für innovative und exzellente Forschung mit internationaler Ausstrahlung versteht. Das Muße-Projekt zielt also über die historische Forschung hinaus ebenso auf die Selbstreflexion der Wissenschaft, ihrer Innovationsstrategien und Innovationsparadoxien, wie auf die interkulturellen Erscheinungsformen und Fremdheiten von Muße. Das Kolloquium setzt sich zur Aufgabe, dieses Forschungsspektrum auszuleuchten und dabei ein besonderes Gewicht auf die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Wissensordnungen zu legen, mit denen die einzelnen Disziplinen sich dem Begriff wie dem Phänomen der Muße nähern. Das Präsenzphantasma der modernen Welt, das scheint eine Grunderfahrung der Gegenwart zu sein, eröffnet weltweit die Zugänge zu den verlockendsten Orten der Muße und droht ihr gleichzeitig durch diese entgrenzte Zugänglichkeit den Boden zu entziehen. Entgeht man der Versuchung einer müden Kulturkritik, eröffnet sich mit diesem Paradox von Muße und Mußeverlust ein innovatives und faszinierendes Forschungsfeld, auf dem geisteswissenschaftliche Forschung sich interdisziplinär vernetzt und interkulturell ausrichtet, um die sozialen, moralischen oder ästhetischen Valenzen kultureller Ordnungen im Spiegel ihrer jeweiligen Inszenierung von Muße neu zu entdecken.

Musse Plakat

 

Programm als pdf-File

Donnerstag, 24.3.
14.00 – 14.30 Begrüßung: Werner Frick, Sprecher des FRIAS-Direktoriums
Einführung: Burkhard Hasebrink und Peter Philipp Riedl (Freiburg)
14.30 – 15.15 Günter Figal (Freiburg): Die Räumlichkeit der Muße
15.15 – 16.00 Hans-Georg Soeffner (Konstanz): Muße – Zielgerichtete Zweckfreiheit
16.00 – 16.30 Kaffeepause
16.30 – 17.15 Wolfgang Kofler (Freiburg): Die Inszenierung von Muße in der römischen Literatur. Drei Beispiele aus Ennius, Cicero und Plinius dem Jüngeren
17.15 – 18.00 Gregor Dobler (Freiburg): Muße und Arbeit. Ethnologische Perspektiven
18.00 – 20.00 Abendessen
20.15 Keynote Lecture: Wolfgang Kubin (Bonn): Muße – eine chinesische Perspektive

 

Freitag, 25.3.
9.00 – 9.45 Thomas Böhm (Freiburg): Facetten eines Theoria-Entwurfes in der Spätantike
9.45 – 10.30 Burkhard Hasebrink (Freiburg): Zwischen Skandalisierung und Sakralisierung. Zum semantischen Spektrum der Muße im Mittelalter
10.30 – 11.00 Kaffeepause
11.00 – 11.45 Andreas Kablitz (Köln): Petrarcas Muße
11.45 – 12.30 Almut Suerbaum (Oxford): Room with a view. Zur Spannung zwischen Kontemplation und Leben in der Welt in den Dorotheenviten des Johannes von Marienwerder
12.30 – 14.00 Lunch
Ab 14 Uhr Alexander Heising / Gabriele Seitz (Freiburg): Aquae / Badenweiler und Villa urbana / Heitersheim. Orte des Wohlbefindens – Orte der Muße? Exkursion mit Vortrag, anschließend Abendessen

 

Samstag, 26.3.
9.00 – 9.45 Lore Hühn (Freiburg): Der Augenblick als Ort der Muße
9.45 – 10.30 Christophe Granger (Paris): Children of the Otium. How the French got leisured (since 1900)
10.30 – 11.00 Kaffeepause
11.00–11.45 Katharina Krause (Marburg): Drinnen und draußen. Wüste und Garten als Orte der Muße im Frankreich des 17. Jahrhunderts
11.45–12.30 Dieter Martin (Freiburg): Muße, Autonomie und Kreativität in der deutschen Dichtung des 18. Jahrhunderts
12.30–13.30 Lunch
13.30–14.15 Kerstin Fest (Cork / Freiburg): Muße und Professionalität im englischen Metadrama des 18. Jahrhunderts
14.15 – 15.00 Peter Philipp Riedl (Freiburg): Muße und Kunsthandwerk in der Literatur um 1900