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"Skandal - Repräsentationsformen eines gesellschaftlichen Ärgernisses zwischen religiöser Norm und säkularer Gesellschaft"

Wann 11.03.2010 um 09:00 bis
13.03.2010 um 18:00
Wo FRIAS Seminarraum, Albertstr. 19
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Gemeinsame Tagung des Freiburg Institute for Advanced Studies
und Lendemains.Études comparées sur la France / Vergleichende Frankreichforschung

Organisatoren:
Prof. Dr. Andreas Gelz (Romanische Philologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg / FRIAS)
Prof. Dr. Dietmar Hüser (Geschichte Westeuropas im 19. und 20. Jahrhundert, Universität Kassel)
Prof. Dr. Sabine Ruß (Politikwisse
nschaftliche Komparatistik, Universität Kassel)

 

 

Der Skandal - Repräsentationsformen, kommunikative und mediale Dynamik

 

In der gegenwärtigen Situation immer schneller aufeinanderfolgender und sich überlagernder gesellschaftlicher Krisen sowie immer stärkerer Verwerfungen der Tektonik gesellschaftlicher Ordnung in Ökonomie, Politik, Religion und Kultur haben Skandale Hochkonjunktur. Große Finanzaffären wie der Enron-Skandal, von der gegenwärtigen Finanzkrise und dem Skandal um Boni-Zahlungen ganz zu schweigen, lassen Zweifel an der Legitimität eines ganzen Wirtschaftssystems laut werden. Ein Skandal, wie er etwa in Deutschland durch die Rede des Schriftstellers Martin Walser anlässlich der Verleihung des Friedenspreis des deutschen Buchhandels 1998 ausgelöst wurde, verweist auf konfliktträchtige Wahrnehmungen einer historisch gewachsenen nationalen Identität. Besonders auffällig ist in jüngster Zeit die Häufung religiöser Konflikte und Skandale, und zwar nicht allein als Phänomen eines angeblichen globalen clash of civilizations, wie ihn mancheseit der Fatwa gegen Salman Rushdie oder auch dem Zerstörungswerk der Taliban und erst recht seit dem 11.09.2001 aufbrechen sehen. Auch mitten in Europa mehren sich Fälle wie der dänische Karikaturenstreit von 2005, werden wir Zeugen heftiger Auseinandersetzungen um das Tragen des Tschador an französischen Schulen oder um den sog. bus ateo in Spanien aus dem Jahr 2009 und dessen atheistisches Bekenntnis, "Es gibt wahrscheinlich keinen Gott. Hört auf, euch Sorgen zu machen und freut euch des Lebens". In jüngster Zeit wäre der Skandal um die Verleihung und anschließende Zurücknahme des hessischen Kulturpreises an Nervad Kermani zu nennen, zu dem Kermanis kritische Betrachtung der Kreuzes-Theologie den Anstoss gab.

Der Skandal fungiert in diesen und anderen Fällen als Medium eruptiver Entladung gesellschaftlicher Spannungen, als Repräsentations- und Kommunikationsform antagonistischer Reaktionsmuster bzgl. sozialer Prozesse sowie zunehmend instabiler kultureller Bezugs- und Wertsysteme. Er legt, und dies zeigen die o.g. Beispiele, ideologische und epistemologische Differenzen offen, die er zugleich in Frage stellt. Der Skandal provoziert einen Konflikt der Interpretationen, insofern er eine Bedeutungspluralität produziert, die sich u.a. auf kollektive Wissensbestände sowie die Legitimität und die Attribution von Normen, ihre Transgression und Transformation bezieht.

 

Komplexes Phänomen, interdisziplinärer Zugang

Trotz dieser komplexen und umfassenden Bedeutung des Skandals fällt auf, daß die Analyse des Skandals vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart disziplinär stark aufgesplittert ist und einschlägige Untersuchungen sich v.a. auf den Einzelfall und damit die Beschreibung einzelner Skandale und ihrer Geschichte konzentrieren. Auf der Tagung soll demgegenüber der Versuch unternommen werden, die diskursive, kommunikative und mediale Dynamik des Skandals, der gesellschaftliche Wahrnehmungs-, Repräsentations- und Kommunikationsprozesse reguliert, unter interdisziplinärer Perspektive unter Beteiligung von Historikern, Politologen, Soziologen sowie Literatur- und Kulturwissenschaftlern zu untersuchen. Tatsächlich bieten Skandale ein Forschungsfeld, das sich glänzend eignet für eine moderne, historisch bzw. zeithistorisch perspektivierte und um politische Dimensionen erweiterte kulturwissenschaftliche Forschung.

 

 

Skandale und die Ambivalenz kultureller Ordnungen

Bisweilen wird das Phänomen des Skandals idealtypisch als Prozess informeller gesellschaftlicher Selbstkontrolle beschrieben, in dem eine kritische Öffentlichkeit insbesondere die Verfehlung der Mächtigen sanktioniert. Demgegenüber liegt der zweite Schwerpunkt der Tagung darin, den ambivalenten Charakter des Phänomens wie auch des Begriffs Skandal systematisch zu bearbeiten. Diese Ambivalenz liegt zum einen in der emotionalen bzw. affektiven Dimension dieser speziellen Form gesellschaftlicher Mobilisierung begründet. Zum zweiten sind gesellschaftliche Modernisierungsprozesse bekanntlich selbst ambivalent und von Widersprüchen geprägt: So kann etwa der religiös motivierte Skandal – und in der Theologie liegen die Ursprünge des Begriffsverständnisses – nicht einfach als Anachronismus und Indiz verspäteter gesellschaftlicher Modernisierung betrachtet werden, zeigt er doch vielmehr, dass Religion und Säkularisierung zugleich und in engerer Verbindung als bislang angenommen Momente gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse der Neuzeit sind. Der in sich mehrdeutige Skandalbegriff erlaubt es somit, die Ambivalenzen von Modernisierungsprozessen abzubilden – ein vor dem Hintergrund aktueller, weltweiter Konflikte im Spannungsfeld von Kultur, Religion und Gesellschaft dringliches Unterfangen.

 

 

Komparatistische Perspektive, historische Dimension

Die dritte Besonderheit der Tagung liegt in ihrem komparatistischen Ansatz. Neben französischen Fallbeispielen stehen spanische Beispiele im Vordergrund. Diese Perspektive erlaubt es, nach national je verschiedenen kulturellen Ursachen, Ausprägungsformen und Wirkungsweisen des Skandals seit dem 17. Jahrhundert zu fragen und damit ggf. auch alternative gesellschaftliche Modernisierungsverläufe im europäischen Kontext sichtbar werden zu lassen. Zugleich mit der Frage nach den Divergenzen stellt sich aber auch die nach möglichen Konvergenzen, die über bestimmte transnationale Entwicklungsprozesse zu erklären sein könnten.

 

 

Fragestellungen

 

Beiträge wären vorstellbar u.a. zu den folgenden Themen:

Repräsentation(sformen) des Skandals (literarische Texte, Gattungen, Erzählmuster, u.a.), kommunikative Dimensionen des Skandals (u.a. Performanz, Inszenierung), Medialisierung und Medien des Skandals, epistemologische Dimensionen des Skandals (Wissen/Wissenschaft/Diskurs/Geschichte) – Der religiöse Skandal (unter Einschluß von Christentum, Judentum, Islam), Skandal und Säkularisierung, Skandal und Moderne, Skandal und Öffentlichkeit, Skandal - soziale Ungleichheit und Demokratie – Skandal - kollektive Identität und Geschichte, Der Skandal in interkulturellen, transnationalen Konstellationen – geschlechtsspezifische Implikationen des Skandals – Synonyme des Skandals (Tabu, Blasphemie, u.a.)

Die genannten und weitere Themenfelder könnten unter theoretischer Perspektive sowie an einzelnen Fallbeispielen bearbeitet werden.

 

Programm

 

Donnerstag, 11.3.2010

 

13.30 Einführung
14:00 ANDREAS GELZ (Freiburg/FRIAS)

Skandale und Skandalforschung – Interdisziplinäre Perspektiven

 

14:45 HELMUT PFEIFFER (Berlin)

Der Skandal der natürlichen Religion

 

15:30 Pause
16:00 JÖRN LEONHARD (Freiburg/FRIAS)

Skandal im Zeitalter der Revolutionen: Frankreich 1814–1848

 

16:45 BIRGIT ASCHMANN (Kiel)

Die zwei Körper der Königin? Isabella II. von Spanien und das doppelte Zerwürfnis in Ehe und Nation

 

17.30 JENS IVO ENGELS (Darmstadt)
Korruptionsskandale im Frankreich des 19. Jahrhunderts

 

Freitag, 12. 3. 2010

 

 

09:00 GUIDO THIEMEYER (Kassel)
Integration durch Skandal? Die Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit als Reaktion auf die ÖVP-FPÖ-Regierung in Österreich nach der Nationalratswahl
09:45 MICHAEL DELLWING (Kassel)
Die soziale Definition von Skandalen: Das Skandal-Narrativ als Form der sozialen Rechtfertigung radikaler Beziehungsbrüche
10:30 Pause
11:00 DANIEL MOLLENHAUER (München)
Skandal und Gegenskandal – Medienstrategien während der Dreyfusaffäre 1894–1906
11:45 INGEBORG VILLINGER (Freiburg)

Riskante Wahlverwandtschaften –  Medien und Skandale

12.30 Mittagspause
14:00 INGRID GILCHER-HOLTEY (Bielefeld)

Skandalisierung als Waffe: Intellektuelle und Öffentlichkeit

14:45 WOLFGANG ASHOLT (Osnabrück)
Skandal als dichterische Praxis? Funktionen des Skandals in der historischen Avantgarde
15.30 Pause
16:00 BERNHARD TEUBER (München)

Skandal in Cannes. Das Anstößige und das Abgründige an Luis Buñuels Viridiana

16.45 Pause
18:15 Abendvortrag : STEPHAN ROSINY (Beirut)
Pressefreiheit oder Prophetenbeleidigung? Der Karikaturenstreit als reziproker Skandal

 

 

Samstag, 13.3.2010

 

09:00 JOCHEN MECKE (Regensburg)

Logik und Lüge des Skandals

09:45 ANDREAS GELZ (Freiburg/FRIAS)

Den Skandal erzählen? Poetik des Skandals

10:30 Pause
11:00 DIETMAR HÜSER (Kassel)

Vom "Un-Skandal" des Algerienkrieges zum "Symbol-Skandal" der Gedächtniskonjunktur –
Das Pariser Blutbad vom 17. Oktober 1961

11:45 SABINE RUß (Kassel)

Skandale als Indikatoren des Wandels politischer Kultur. Das Beispiel Frankreich

12.30 Abschlussdiskussion