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Geopolitik der Energiewende: Neue Ungleichheit oder mehr Gerechtigkeit?

Interview mit den Organisator:innen des Workshops „Transnationale Dimensionen der Energiewende“

Der Ausbau erneuerbarer Energien verändert die Ordnung zwischen energieimportierenden und -exportierenden Ländern – ebenso wie die sozio-politischen Strukturen innerhalb der Staaten. Politische Auswirkungen der globalen Energiewende diskutieren internationale Wissenschaftler:innen im Workshop „Transnationale Dimensionen der Energiewende: Politik und Ungleichheiten in und jenseits von Lateinamerika und Westasien-Nordafrika (WANA)“, den Mitglieder der Jungen Akademie für Nachhaltigkeitsforschung am FRIAS mit externen Kolleg:innen organisieren. Darüber hinaus laden die Veranstalter:innen am 2. Juni zum öffentlichen Vortrag „Erneuerbare Energien, erneuerte Autoritarismen?“ ein. Im Interview geben drei der Organisator:innen Einblicke in das Thema.

 

Weltweit gibt es Bestrebungen, Energiesysteme umzubauen und erneuerbare Energien zu stärken. Welche geopolitischen Folgen bringt dies mit sich?

Faces Thilo Wiertz

Thilo Wiertz: Wir gehen davon aus, dass die Energiewende Abhängigkeitsstrukturen verändern wird. Erzeugt ein Land zum Beispiel mehr regenerative Energie und nutzt diese selbst, wird es sich zum Teil von Energieimportländern lösen können. Gleichzeitig wird es sich wahrscheinlich enger an Staaten binden, die ihm dafür benötigte Rohstoffe oder Technologien liefern. Wie sich transnationale Partnerschaften entwickeln, hängt von technischen Entwicklungspfaden ab, ebenso wie von den geopolitischen Entscheidungen und Weltanschauungen der beteiligten Akteure.

 

 

Das heißt, eine „Geopolitik der Energiewende“ gibt es derzeit noch nicht?

Rosa Lehmann: Aktuell ist noch offen, wie sich die verschiedenen Dynamiken entwickeln werden. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass es aufgrund unterschiedlicher Interessen weder die eine Geopolitik noch die eine Energiewende geben wird. Zumal einzelne Länder wirtschaftlich weiterhin stark von fossilen Energieträgern abhängig sind. In Mexiko zum Beispiel tragen bis heute die Einnahmen aus dem Erdöl- und Erdgasgeschäft zu mehr als einem Drittel der Staatseinnahmen bei, sodass politische Entscheider:innen dort kaum an einem Förderstopp interessiert sein dürften.

Thilo Wiertz: Darüber hinaus wird Wasserstoff zunehmend als Möglichkeit betrachtet, Wind- und Sonnenenergie transportierbar und damit auch handelbar zu machen. Daraus könnten sich ganz neue Wirtschaftsbeziehungen ergeben. Zum Beispiel werden energiepolitisch bislang wenig einflussreiche Länder stärker in den Fokus rücken, was zu neuen Konkurrenzsituationen führen kann.

 

Der Vortragsabend „Erneuerbare Energien, erneuerte Autoritarismen?“ blickt gezielt auf Länder der Golfregion und Nordafrikas. Warum?

Faces Benjamin SchützeBenjamin Schütze: Verkürzt gesagt gibt es in der arabischen Welt zwei gegensätzliche Entwicklungen. Zum einen wird traditionellen Gas- und Ölexporteuren wie Saudi-Arabien, Qatar oder Kuwait, die Haupteinnahmequelle wegbrechen. Um bestehende Abhängigkeiten auch im post-fossilen Zeitalter fortführen zu können, investieren sie daher in erneuerbare Energien. Zum anderen sehen wir, dass Länder wie Marokko, Tunesien oder Jordanien durch den Ausbau erneuerbarer Energien unabhängiger von Energieimporten werden könnten. Perspektivisch könnten diese sogar ebenfalls Energie exportieren.

Wird dieses Szenario weitergedacht, wäre auch eine eigenständigere Außenpolitik dieser Länder möglich, die die zwischenstaatlichen Beziehungen in der arabischen Welt wohl verändern würde. Leider werden in allen Ländern der Region Bemühungen zur Energiewende jedoch stark in bestehende autoritäre Praktiken integriert. Uns interessiert daher: Sehen wir eine Energiewende, in der regenerative Energien fossile lediglich ersetzen, oder eine Energiewende, die geopolitische Abhängigkeiten verändert, Autoritarismen überwindet und zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt?

 

Fossile Energien werden meist in Megaprojekten gewonnen. Bei erneuerbaren gelingt dies bereits in kleineren, regionalen Projekten, an denen sich meist mehrere Akteure beteiligen können. Führt die Energiewende damit automatisch zu mehr Gerechtigkeit?

Rosa Lehmann: Die Energiewende löst per se keine sozialen Konflikte. Eine der entscheidenden Fragen ist, ob ein Land oder eine Region mit den erneuerbaren Energien zuerst den Eigenbedarf deckt und den Energieüberschuss exportiert – oder umgekehrt. Zudem kommt es stark darauf an, ob die Gewinne tatsächlich breit verteilt werden, oder an einige wenige fließen. Aktuell beobachten wir, dass die Aktivitäten zur Energiewende bestehende Ungleichheiten und Hierarchien sowohl in formaldemokratischen als auch in autoritär geführten Ländern eher reproduzieren.

Das Interview führte Kristin Schwarz

Alle Infos zum Workshop und zur Public lecture: Renewable Energies, Renewed Authoritarianisms?