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Warum Patienten mit „Schmetterlingskrankheit“ extreme Schmerzen haben – FRIAS-Direktorin und Forscher des Max-Delbrück-Centrums entdecken die Ursachen

Selbst sanfte Berührungen sind für Patienten, die an der „Schmetterlingskrankheit“ leiden, der genetisch bedingten Hauterkrankung Epidermolysis Bullosa, äußerst schmerzhaft. Jetzt hat eine Kooperation zwischen Wissenschaftlern am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch, der Direktorin der FRIAS School of Life Sciences – LifeNet, Prof. Dr. Leena Bruckner-Tuderman, und Kollegen der Universität zu Köln die Ursachen dafür entdeckt. Aufgrund eines genetischen Defekts können die Betroffenen ein bestimmtes Strukturmolekül der Haut (Laminin-332) nicht bilden, das bei Gesunden die Weiterleitung von Berührungsreizen und das Wachstum von Nervenzellen hemmt (Nature Neuroscience, doi: 10.1038/nn.2873). Dadurch nehmen die Patienten Berührungen offenbar stärker wahr und empfinden sie als schmerzhaft, folgern die Forscher.

Kleinste Berührungen fühlen sich an wie Nadelstiche, ihr Körper ist von Blasen übersät, die Haut an vielen Stellen entzündet. Patienten mit Epidermolysis Bullosa haben kaum eine Chance, ein normales Leben zu führen. Durch einen genetischen Defekt löst sich bei ihnen die obere Hautschicht (Epidermis) von der darunterliegenden Lederhaut (Dermis) ab, und es bilden sich Blasen (Bullosa). Den Betroffenen fehlt das Strukturmolekül Laminin-332, das sich normalerweise unter den Hautzellen in der extrazellulären Matrix befindet und die beiden Hautschichten wie eine Art Zellkitt miteinander verbindet.

Die neuen Ergebnisse, die Leena Bruckner-Tuderman gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern gewinnen konnte, zeigen nun, dass das Molekül aber nicht nur der Zellverankerung dient, sondern auch die Reizweiterleitung und die Ausbildung von Verzweigungen der sensorischen Nervenzellen hemmt. Sensorische Nervenzellen nehmen in der Haut Berührungsreize wahr. Dafür besitzen sie an ihren Enden so genannte mechanosensitive Ionenkanäle. Das sind verschließbare Öffnungen in der Zellmembran, durch die geladene Teilchen kontrolliert in die Zelle hinein und hinaus fließen können. Bei einer Berührung wird über den Druck auf die extrazelluläre Matrix ein Zugmechanismus an den Ionenkanälen betätigt, wodurch sich die Kanäle öffnen und die geladenen Teilchen hindurchfließen. Auf diese Weise wird die Nervenzelle erregt und der Reiz wahrgenommen.

In ihren Versuchen  stellten die Forscher nun fest, dass ein Berührungsreiz bei allen Nervenzellen, die nicht von Laminin-332 umgeben waren, Ionenströme auslöst. Bei Nervenzellen mit Laminin-332 waren dagegen wesentlich weniger Ionenströme zu messen. Offensichtlich blockiert Laminin-332 den Zugmechanismus zur Öffnung der Ionenkanäle weitgehend und hemmt auf diese Weise die Reizweiterleitung. Da bei Patienten mit Epidermolysis Bullosa das Laminin-332 fehlt, ist die Reizweiterleitung ungebremst. Ihre sensorischen Nervenzellen werden um ein Vielfaches stärker erregt als die gesunder Menschen, was dazu führt, dass sie wesentlich empfindlicher auf mechanische Reize reagieren.

In der Haut von Patienten mit Epidermolysis Bullosa fanden die Forscher zudem ein weitaus verzweigteres Netz von Nervenzellen als in der Haut gesunder Menschen. Versuche mit Zellkulturen haben gezeigt, dass Laminin-332 das Verzweigen von Nervenzellen hemmt. Ohne Laminin-332 ist diese Hemmung nicht gegeben. Vermutlich trägt auch dieser Effekt zu der verstärkten Wahrnehmung von Berührungsreizen bei.

Die Forscher hoffen in weiteren Studien Ansatzpunkte für eine medikamentöse Therapie zu finden. Doch bereits jetzt sei schon viel gewonnen, sind sie überzeugt. Durch die Aufklärung der Ursache würden die Patienten mit ihren Schmerzen künftig sicher ernster genommen. Damit könnten effizientere Schmerztherapien eingesetzt werden. Außerdem sollten bei der Behandlung neben Dermatologen in Zukunft interdisziplinäre Schmerzspezialisten mitarbeiten.

Laminin–332 coordinates mechanotransduction and growth cone bifurcation in sensory neurons
Li-Yang Chiang, Kate Poole, Beatriz E. Oliveira, Neuza Duarte, Yinth Andrea Bernal Sierra, Leena Bruckner-Tuderman, Manuel Koch, Jing Hu and Gary R. Lewin

07/2011