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Prof. Dr. Jörg Baberowski

Humboldt-Universität zu Berlin
Guest Fellow
01.04.10-28.06.10
01.04.12-31.07.12

Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS)
School of History

CV

Geboren 1961; 1988 Magisterexamen in den Fächern Geschichte und Philosophie. Thema „Politische Justiz im ausgehenden Zarenreich 1864-1917“; 1994 Promotion zum Doktor der Philosophie,  Universität Frankfurt/Main. Titel der Dissertation: „Autokratie und Justiz. Zum Verhältnis von Rechtsstaatlichkeit und Rückständigkeit im ausgehenden Zarenreich 1864-1914“, erschien 1996 als Buch; 2000 Annahme der Habilitationsschrift „Auf der Suche nach Eindeutigkeit. Zivilisatorische Mission, Nationalismus und die Ursprünge des Stalinismus in Azerbajdžan 1828-1941“, Universität Tübingen. Erschien 2003 als Buch „Der Feind ist überall. Stalinismus im Kaukasus.“; 2001 Verleihung der Venia Legendi für Osteuropäische Geschichte, Universität Tübingen; Seit Oktober 2002 Professor für Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin; seit Oktober 2007 Sprecher des Sonderforschungsbereiches 640 „Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“.

 

Publications

Books, Proceedings, Editions, and Articles (10 selected)

- Autokratie und Justiz. Zum Verhältnis von Rechtsstaatlichkeit und Rückständigkeit im ausgehenden Zarenreich, 1864-1914, Frankfurt am Main 1996.

- Der Feind ist überall. Stalinismus im Kaukasus, München 2003.

- Der Rote Terror. Die Geschichte des Stalinismus, München 2003 (zweite Auflage, München 2004), (dritte Auflage Frankfurt am Main 2007, Fischer-Taschenbuch).

- Der Sinn der Geschichte. Geschichtstheorien von Hegel bis Foucault, München 2005.

- (Hg.) Moderne Zeiten? Krieg, Revolution und Gewalt im 20. Jahrhundert, Göttingen 2006.

- Ordnung durch Terror. Gewaltexzesse und Vernichtung im nationalsozialistischen und im stalinistischen Imperium. Mit einem Vorwort von Hans Mommsen (gemeinsam mit Anselm Döring-Manteuffel), Bonn 2006. (zweite Auflage Bonn 2007.

- (Hg.) Selbstbilder und Fremdbilder: Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel, Frankfurt am Main 2008 (gemeinsam mit Hartmut Kaelble und Jürgen Schriewer).

- (Hg), Imperiale Herrschaft in der Provinz. Repräsentationen politischer Macht im späten Zarenreich, Frankfurt am Main 2008 (gemeinsam mit David Feest und Christoph Gumb).

- (Hg.), Dem Anderen begegnen. Eigene und fremde Repräsentationen in sozialen Gemeinschaften, Frankfurt am Main 2008 (gemeinsam mit David Feest und Maike Lehmann).

- (Hg.), Arbeit an der Geschichte. Wie viel Theorie braucht die Geschichtswissenschaft?, Frankfurt am Main 2009.

 

FRIAS Research Project

“Gewalträume"

Historiker behandeln die Gewalt als ein von der Norm abweichendes Verhalten, das behandelt werden kann, sobald man erkannt hat, wodurch es verursacht wird. Niemand spricht es offen aus, aber jede Erklärung der Gewalt, die von einem Anfang spricht, sehnt auch das Ende herbei. Die Gewalt soll aufhören, unser Leben zu bestimmen. Das Leben soll schöner werden und die Gewalt aus ihm verschwinden. Wie kann man solch einen Zustand erreichen? Durch Zivilisierung, durch Befreiung, durch gutes Zureden, durch Einführung egalitärer Ordnungen und hierarchiefreier Kommunikation – so lauten nur einige jener Antworten, die seit Jahrzehnten auf diese Frage gegeben worden sind. Aber die Gewalt ist kein „Betriebsunfall“, kein „Extremfall“, der von außergewöhnlichen Menschen aus außergewöhnlichen Kontexten verursacht wird, sondern eine für jedermann zugängliche und deshalb attraktive Handlungsoption. Keine umfassende soziale Ordnung beruht auf der Prämisse der Gewaltlosigkeit. Denn die Gewalt ist immer schon eine Handlungsoption gewesen, vor tausend Jahren ebenso wie in der Gegenwart. Wie sonst ließe sich erklären, dass in jeder Kultur Gewaltverbote ausgesprochen, sie aber auch in allen Kulturen übertreten werden, weil nicht jeder den Verlockungen widerstehen kann, die von der Gewalt als Handlungsoption ausgehen. Man kann heute ein braver Familienvater sein und sich morgen in einen Massenmörder verwandeln – nicht, weil man es muss, sondern weil man es kann. Was bedeutet das alles für die Praxis der historischen Gewaltforschung? Wer wissen will, was geschieht, wenn Menschen einander Gewalt antun, wird sich nicht damit zufrieden geben dürfen, Ideen, Planungen und Strategien, soziale Kontexte oder Rechtfertigungen zu untersuchen wie es in der Geschichtsschreibung über die Gewaltexzesse des 20. Jahrhunderts gewöhnlich geschieht. Es kommt darauf an, eine Antwort auf die Frage zu finden, warum Menschen Schwellen überschreiten und andere Menschen verletzen oder töten. Historiker müssen die Gewalt beschreiben und sie in ihren kulturellen Handlungskontexten verständlich machen. Wie geraten Menschen in eine Gewaltsituation? Welche Umstände ermöglichen es ihnen, Hemmungen abzulegen und die Schwelle zu überschreiten? Wie antworten die Opfer auf die Gewalt der Täter? Wer sind die Beobachter der Gewalt und sind sie in das Geschehen als Adressaten verwickelt? Was wird durch die Gewalt mitgeteilt? Und wie stellen die intellektuellen Anstifter der Gewalt, die das Denkbare zum Machbaren erklären, jene Räume her, die das Denkbare tatsächlich auch zum Machbaren werden lassen und in denen alles möglich ist? Das Buch soll aus zwei Teilen bestehen: einem theoretischen Teil, der demonstriert, wie Historiker und Soziologen Gewaltphänomene verstanden und erklärt haben und einem erzählenden Teil, der veranschaulichen soll, wie Ermöglichungsräume Gewalt produzieren und Gewalttäter diese Räume für ihre Zwecke nutzen.