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Visionen für eine bessere Zukunft

Schroeer

Westeuropäische Fortschrittsdiskurse und religiöse Institutionen, Erfahrungen und Semantiken (19. und 20. Jahrhundert)

Dr. Christina Schröer
Modern European History
Freiburg University

Westeuropäische Fortschrittsdiskurse und religiöse Institutionen, Erfahrungen und Semantiken (19. und 20. Jahrhundert)
When Jun 23, 2016 02:00 PM to
Jun 24, 2016 02:00 PM
Where FRIAS, Albertstr. 19, north wing, 2nd floor
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Attendees Nach Anmeldung / registration required
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Programm

Aufbruch, Tempo, Fortschritt – diese drei Vokabeln bestimmten die Erfahrungswelt vieler Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts in Westeuropa. Der Fortschrittsdiskurs, dessen Wurzeln bis in die frühe Aufklärung zurückreichen, war spätestens seit der Französischen Revolution aus den europäischen Debatten um die „bestmögliche“ Politik und Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Er beflügelte die Entwicklung von neuen Ideen zur Lösung alter politischer und sozialer Fragen ebenso wie die Weiterentwicklung von Medizin und Technik, die selbst wiederum zu einer Beschleunigung gesellschaftlicher und kultureller Wandlungsprozesse beitrugen.

Die „Fortschrittsgläubigkeit“ der westeuropäischen Gesellschaften um 1900 ist bereits Gegenstand älterer Forschungsarbeiten gewesen. Dennoch gibt es nur wenige Studien, die diese als Auslöserin tiefgreifender Transformationsprozesse innerhalb des gesamten religiösen Feldes interpretieren. Noch bis in die 2000er Jahre hinein verknüpfte die Forschung das Fortschrittsdenken häufig mit dem Begriff der „Säkularisierung“. Jüngere Studien haben Gegenpositionen formuliert, die eher die Kontinuitäten bzw. die Wiederkehr religiöser Praktiken im 19. und 20. Jahrhundert in den Mittelpunkt rücken. Die Tagung versammelt Historiker und Religionswissenschaftler, die in ihren Forschungen eher eine Zwischenposition formulieren und nach Wechselwirkungen zwischen Sakralisierung und Säkularisierung gefragt haben.

Der Workshop geht von der Hypothese aus, dass gerade die Fortschrittsidee Ursache des Wunsches nach Erneuerung, Ergänzung oder Ablösung der traditionellen Religion(en) war. Sie führte zunächst zu einer Reihe von Kontroversen um den „richtigen“ Weg einer Weiterentwicklung der Menschheit, anschließend zur Mobilisierung und Organisation unterschiedlichster Interessensgruppen und Glaubensgemeinschaften zu diesem Zweck. Alle Vorträge sollen dazu beitragen, durch das Brennglas des Fortschrittsdiskurses den tiefgreifenden Transformationsprozess des Religiösen im 19. Jahrhundert besser als bislang geschehen zu beschreiben und zu erklären. Mit der Frage nach dem Wandel religiöser „Institutionen, Erfahrungen und Semantiken“ ist das ganze religiöse Feld angesprochen. Wie reagierten religiöse Glaubensgemeinschaften und kirchliche Institutionen, aber auch weltliche Eliten und Autoritäten auf die Herausforderung durch die neuen „Heilslehren“ des 19. Jahrhunderts? Warum wurden besonders Bildungsfragen in fast allen europäischen Gesellschaften zum Stein des Anstoßes; welche Rolle spielte die Wissenschaft? Welche Visionen einer „besseren Zukunft“ wurden in diesem Zusammenhang hervorgebracht und welchen Einfluss hatte dies auf das Reden über Religion im Allgemeinen?

Zur Beantwortung dieser weit gespannten Fragen wird dem Workshop ein funktionalistischer Religionsbegriff zugrunde gelegt, der es ermöglicht, Phänomene der traditionellen Religion sowie Sakralisierungsprozesse ursprünglich profan gedachter Bereiche (wie Politik und Wissenschaft) gleichzeitig in den Blick zu nehmen. Anhand von Fallbeispielen aus vier europäischen Ländern (bzw. deren Kolonien) sowie aus dem Bereich der traditionellen und der im 19. Jahrhundert neu entstehenden Glaubensgemeinschaften werden verschiedene am Fortschrittsdiskurs beteiligte Institutionen und Akteursgruppen miteinander ins Gespräch gebracht.