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Von Freiburger Ernährungsinitiativen lernen

Was wir essen und wie unsere Lebensmittel produziert werden sind drängende Zukunftsfragen. Die Wirtschaftsgeographin Prof. Dr. Marit Rosol analysiert, warum die bestehenden Strukturen der Land- und Ernährungswirtschaft so festgefahren sind, und erforscht vielversprechende Alternativen. Im Interview erklärt sie, warum Freiburg – die Universität, die Stadt und die Region – ihr Interesse geweckt haben.


Sie forschen zu alternativen Ernährungssystemen. Warum sollten wir Produktion und Vertrieb unserer Lebensmittel überdenken?

Unser etwa seit den 1970er-Jahren dominantes Landwirtschafts- und Ernährungssystem hat verheerende ökologische und gesundheitliche Folgen. Es ist sozial nicht gerecht und funktioniert auch ökonomisch immer weniger, nicht für Landwirt:innen und auch nicht für das Lebensmittelhandwerk. Und obwohl die Produktion in den letzten Jahrzehnten massiv gesteigert wurde, müssen weiterhin Menschen hungern. Der Weltagrarbericht hatte schon vor 15 Jahren festgestellt: „Business as usual is not an option – Ein Weiter so ist keine Option.“ Seitdem haben sich die Probleme leider verschärft. Es braucht also dringend Alternativen.

Wie könnten Alternativen zum bestehenden Ernährungssystem aussehen?

In der Forschung lassen sich drei Arten von 'Alternativen' unterscheiden. Erstens gibt es alternative Nahrungsmittel, etwa Bio- und regionale Produkte. Zweitens gibt es Alternativen zu den klassischen Lieferketten im Ernährungssektor. Dazu gehören vor allem die Direktvermarktung, aber auch z.B. Fairtrade. In meinen Forschungen habe ich gezeigt, dass wir uns neben diesen beiden Formen auch die Wirtschaftsweisen selbst anschauen müssen. Ich interessiere mich deshalb für Betriebe und Initiativen, die grundlegend anders wirtschaften, sei es in Hinblick auf Eigentum, Finanzierung, Arbeitsbeziehungen oder Transaktionen. Dabei interessiert mich, inwiefern sich Betriebe und Initiativen von den Instrumenten und Strukturen der üblichen Kapital- und Warenmärkte unabhängig machen können. Ich frage entsprechend: Welche alternativen Formen der Finanzierung, der Unternehmensführung oder des Vertriebs gibt es bereits? Wie gut funktionieren sie? An welche Grenzen stoßen sie? Welche Rahmenbedingungen müssten sich verändern, damit die Betriebe erfolgreich wirtschaften können?

Welche Beispiele lassen sich bereits in der Praxis finden?

Größere Aufmerksamkeit hat zuletzt die solidarische Landwirtschaft erfahren. Hier kooperieren Konsument:innen direkt und solidarisch mit einem oder mehreren landwirtschaftlichen Betrieben. Die Beteiligten entscheiden gemeinsam und teilen sich Kosten, Risiken und Erträge. Aber auch genossenschaftlich organisierte Betriebe und Restaurants sowie Stiftungen sind zu finden. Viele dieser Ansätze und Initiativen lassen sich unter dem Stichwort „Alternative Food Networks“ bzw. „Alternative Ernährungsnetzwerke“ zusammenfassen. Sie zu erforschen könnte uns potenzielle Wege in Richtung nachhaltigerer und gerechterer Ernährungssysteme weisen.

Warum hat Freiburg auf der Suche nach alternativen Ernährungsinitiativen Ihr Interesse geweckt?

Dafür gibt es verschiedene Gründe: Erstens ist Freiburg als selbst ernannte „Green City“ in der wissenschaftlichen Literatur zum Thema Nachhaltigkeit sehr präsent – durchaus auch kritisch betrachtet. Die Universität selbst genießt einen sehr guten Ruf in Bezug auf Nachhaltigkeitsforschung. Zweitens bietet die Region viele Anknüpfungspunkte für meine Feldforschung. Aus historischen Gründen gibt es noch viele kleinere Landwirtschaftsbetriebe. Verbunden mit der hohen Bedeutung von Natur- und Umweltschutz in der Region konnten sich diverse alternative Organisationsformen von Produktion und Vertrieb herausbilden.

Mein Interesse hatte vor allem die in Eichstetten bei Freiburg gegründete Regionalwert AG geweckt. Diese sammelt Gelder von Privatpersonen wie Ihnen und mir ein, um damit eine nachhaltige Ernährungswirtschaft zu finanzieren – von den landwirtschaftlichen Betrieben, über Verarbeitung und Handel bis zur Gastronomie. Inzwischen gibt es auch in vielen anderen Regionen solche Regionalwert-Aktiengesellschaften. Die Ursprünge liegen aber im Raum Freiburg.

 


Der Wiehremer Bauernmarkt ist einer von vielen belebten Freiburger Wochenmärkten, die sich in der Stadt großer Beliebtheit erfreuen. Foto: Emily Schlegel.


Welche Eindrücke konnten Sie aus Ihrem Forschungsaufenthalt mitnehmen?

Beeindruckt hat mich zum einen, wie viele Erzeuger:innenmärkte es in Freiburg gibt und wie vergleichsweise gut der Direktvertrieb von Lebensmitteln aus der Region zu funktionieren scheint. Dazu dürfte vermutlich auch das recht wohlhabende grün-ökologische Milieu beitragen. Zudem verhindert der Wunsch, den Schwarzwald als Kulturlandschaft zu erhalten, eine intensivere Flächennutzung. Deshalb werden auch traditionelle und nachhaltige landwirtschaftliche Techniken wie die Hangbeweidung weiterhin gepflegt. In beidem drückt sich meines Erachtens auch eine starke Verbindung von Stadt und Land aus. Auch die Dreiländerlage mit unterschiedlichen kulinarischen Traditionen ist interessant. Das sind allerdings alles nur erste Beobachtungen, die ich nach meinem Aufenthalt in Freiburg weiter systematisch erforschen möchte.

Für Ihren Aufenthalt am FRIAS hatten Sie ein Marie S. Curie FRIAS COFUND Fellowship. Warum haben Sie sich darauf beworben?

Das FRIAS genießt einen ausgezeichneten Ruf und war mir schon von mehreren Tagungen bekannt. Zudem hatte ich bereits sehr gute Kontakte zu Freiburger Geograph:innen. Hinzu kommen viele inhaltliche Berührungspunkte in der Nachhaltigkeitsforschung, insbesondere zur Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen. Ich hatte deshalb schon lange im Hinterkopf, mich für einen Aufenthalt am FRIAS zu bewerben. Dass es mit dem Marie S. Curie Fellowship geklappt hat, sehe ich aufgrund des hoch kompetitiven Verfahrens als besondere Auszeichnung. Das hat übrigens auch die Universität Würzburg so gesehen, die es mir dankenswerterweise ermöglicht hat, meine Professur, auf die ich zum 1. Juli 2022 berufen wurde, später anzutreten. Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich sowohl von meiner Feldforschung in der Freiburger Region als auch vom am FRIAS gelebten offenen Austausch über die Fächergrenzen hinweg sehr profitiert habe.

Zur Person

Marit Rosol studierte ab 1994 Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität Berlin. 2006 promovierte sie am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Arbeit über Gemeinschaftsgärten in Berlin. Sie habilitierte sich 2012 an der Goethe-Universität Frankfurt in Geographie. 2016 erhielt sie einen Ruf auf eine Forschungsprofessur (Canada Research Chair) an der Universität Calgary (Kanada). Seit dem 1. Juli 2022 ist sie Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftsgeographie am Institut für Geographie und Geologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Von September 2022 bis Dezember 2022 forschte sie im Rahmen des Marie S. Curie FCFP Förderprogramms als External Senior Fellow am FRIAS.


Das Interview führte Max Bolze, veröffentlicht am 13.03.2023.


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