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Dr. Florian Schmaltz (Frankfurt am Main): Ressourcenmobilisierung und Wissenstransfer im Zweiten Weltkrieg: Luftfahrtforschung unter NS-Besatzung in West- und Osteuropa

Wann 04.08.2011
von 18:00 bis 20:00
Wo FRIAS, Albertstraße 19, kleiner Seminarraum
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Während zur Geschichte der Rüstungsforschung im Nationalsozialismus in den vergangenen Jahren eine Reihe wissenschafts- und technikhistorischer Studien erschienen, wurde der Frage, wie sich die naturwissenschaftliche Forschung in den europäischen Ländern unter der NS-Besatzung im Zweiten Weltkrieg entwickelte, bislang wenig Beachtung geschenkt. Zentraler institutioneller Bezugspunkt des Vortrags bildet die Aerodynamische Versuchsanstalt (AVA) Göttingen, einer bis 1945 auf über 700 Mitarbeiter angewachsenen Großforschungseinrichtung, die über enge Beziehungen zu Politik, Wirtschaft und Militär verfügte. Zusammen mit dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Strömungsforschung in Göttingen gehörte die AVA zu den weltweit führenden Forschungszentren auf dem Gebiet der modernen Aerodynamik, die sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Physik, Mathematik und den Ingenieurswissenschaften zu einem interdisziplinären, hybriden Forschungsgebiet herausbildete. Um für die deutsche Kriegsforschung Ressourcen im europäischen Herrschaftsbereich des NS-Regimes zu mobilisieren, wurden zwischen 1940 und 1944 in bestehenden Großforschungseinrichtungen und ad hoc etablierten Forschungsstützpunkten Außenstellen der AVA geschaffen, die sich im annektierten Österreich, in Frankreich, den Niederlanden, Lettland, dem „Protektorat Böhmen und Mähren“, Norwegen und der Ukraine befanden. Dieses kaum bekannte Netzwerk von Außenstellen der AVA stellte ein ausdifferenziertes System von Einrichtungen der experi¬mentellen Aerodynamik dar, das entgegen bisheriger Annahmen wissenschaftshistorischer Studien auf eine Internationalisierung der Forschung im Kontext der NS-Okkupationspolitik schließen lässt. Die Entwicklung der aerodynamischen Forschung, einer Schlüsseldisziplin, welche die Grundlagen für die hochtechnologische Luftkriegsführung des 20. Jahrhunderts legte, ermöglicht es in doppelter Hinsicht, historiographisches Neuland zu erkunden: Zum einen soll anhand von Fallstudien die kaum erforschte Geschichte der Wissenschaften unter den verschiedenartigen Bedingungen und Verlaufsformen der NS-Okkupationspolitik analysiert werden. Zweitens sollen die Ergebnisse der Fallstudien in einem synchronen Vergleich zusammengeführt werden, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Wissenschaftsentwicklung in Ost- und Westeuropa herauszuarbeiten.
 
Dr. Florian Schmaltz ist Habilitand am Historischen Seminar in der Arbeitsgruppe Wissenschaftsgeschichte der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.